In der ZEIT Nr. 52 gab es ein Interview mit dem Titel "Vom Nutzen der Frommen". Thema: Ein Wissenschaftler analysiert Religionen, um seine These zu belegen, dass Glaubenssysteme ein Produkt kultureller Evolution sind.
Ein kleiner Ausschnitt:
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ZEIT: Aber die [Bilder von der Welt] müssen mit der Realität übereinstimmen.
Wilson: Nicht unbedingt. Unser Bewusstsein ist für Überleben und Reproduktion adaptiert. Es nimmt die Welt nicht exakt so wahr, wie sie wirklich ist. Wir wissen das von den Sinnen: So haben wir keinen Magnetsinn und sehen nur ein enges Spektrum des Lichts. Selbst das verfälschen wir, indem wir es in Farben zerlegen, die es in Wahrheit so gar nicht gibt. Die Verfremdung der Welt beginnt schon mit unserer basalen Wahrnehmung.
ZEIT: Und auf diese Weise wollen Sie nun Religion erklären - als eine verfremdete Wahrnehmung der Welt, verbunden mit einem Überlebensvorteil?
Wilson: Ich denke, so ist das. Religion ist verwirrend für Wissenschaftler. All diese Dinge, an die Menschen glauben, ohne dass es Anzeichen für ihre Existenz gibt - so eine Albernheit. Aber wenn man Glauben danach beurteilt, zu welchen Handlungen sie die Gläubigen veranlassen, dann haben die allermeisten der religiösen Systeme einen Sinn.
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Kling für mich sehr vernünftig. Da stellt sich doch gleich die Frage, was für eine Art von verfremdeter Wahrnehmung der sogenannte Zen-Geist ist? Und zu welchen Handlungen sich Zen-Praktizierende veranlasst fühlen?
Wünsche allen einen guten Rutsch ins neue Jahr!
elco
Viele klassiche Merkmale anderer Religionen fehlen ganz einfach: Im Zen gibt es keine "vorverdaute" Sicht von der Welt, die derjenige, der den Weg beschreitet, übernehmen kann/soll, und die ihm und seiner Gemeinschaft dann aufgrund einer verbesserten Sozialordnung einen evolutionären Vorteil verschaffen würde, was ja die Kernaussage von Wilsons Thesen ist. Ganz im Gegenteil fordert Zen von seinen Wegbeschreitern, daß zunächst jegliche Konzepte von sich und der Welt abzulegen sind (was allerdings für den Volksbuddhismus und Kirchen-Zen nicht unbedingt ebenfalls zutreffend ist).
Diese Studie wirft für Zen daher nicht zwangsläufig die von Dir genannten Fragen auf; vielmehr würde man Äpfel mit Birnen vergleichen.
lg
Wenn es dieses konzeptlose Zen gibt, dann stellt sich die Frage, ob es sich mit anderen Religionen vergleichen lässt. Dieses Zen wäre von innen betrachtet gar keine Religion und kein Glaubenssystem. Aber dann kann man sich (vorausgesetzt, man hat genügend Phantasie) immer noch vorstellen, dass dieses Zen von aussen betrachtet trotzdem die gleichen stabilisierenden Wirkungen hat, die Wilson bei den "echten" Religionen untersucht hat.
Eine ganz andere Frage ist, ob es dieses konzeptlose, nicht-kirchliche und nicht-volksnahe Zen überhaupt gibt. Ob es das überhaupt geben kann! Kann ein völlig konzeptloses Zen überhaupt von Meister zu Schüler weitergegeben werden?
Gruß,
elco
Ausgewählte Kurzbiographien solcher Meister sind zB im Buch "Verrückte Wolken / Zen-Meister / Zen-Rebellen" von Besserman/Steger nachzulesen.
Die Frage, ob ein konzeptloses Zen weitergegeben werden kann, ist zu bejahen: Voraussetzung für die Übertragung von Meister zu Schüler war und ist ja gerade jenes Verständnis, das über das verstandesmäßige, konzeptionelle Denken hinauszugehen hat - der Wirklichkeit ist nichts hinzuzufügen.
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